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Einzelne Themen ausführlich

Ändert die Brennweite die Perspektive?

Einführung und Antwort

Gelegentlich lese und höre ich: "Weitwinkelobjektive dehnen den Raum und Tele-Objektive komprimieren ihn", was nicht korrekt ist. Dieser Artikel beschreibt, warum die Brennweite die Perspektive nicht verändert.

Was ist die Perspektive?

Perspektive ist Dreidimensionales zweidimensional abgebildet durch Zentralprojektion – Räumliches als Bild auf einer ebenen Fläche. Bei der Zentralprojektion laufen (gedachte) Strahlen (Linien) von (allen) Gegenstands-Punkten hin zu einem (einzigen) Punkt, dem Zentrum. Eine Ebene zwischen Zentrum und Gegenstand bildet den Gegenstand ab, dort wo die Strahlen die Ebene durchdringen (schneiden). Das Bild wird größer mit zunehmenden Abstand der Ebene vom Zentrum.

Abbildung: Zentralprojektion. Gegenstandsstrahlen laufen von links nach rechts auf das Zentrum zu und schneiden in der Mitte eine Bildebene.

Wie sehen wir Perspektive?

Räumlichkeit folgern wir beim Anschauen von Bildern durch Intuition und Logik:

Unterschiedliche Abstände ändern die Perspektive

Objektive haben scheinbar eine typische Perspektive, sie erzwingen Abstände: Mit einem Weitwinkelobjektiv muss ich näher ran als mit einem Teleobjektiv, soll das Motiv auf dem Bild gleich groß sein. Damit ändere ich das Verhältnis Bildebene (Sensor) bis Vordergrund zu Bildebene bis Hintergrund, kurz: das Verhältnis der Vordergrundentfernung zur Hintergrundentfernung.

Fotografiere ich einen Baum, der 50 Meter vor einem Gebäude steht, einmal mit einem 50 mm-Objektiv und einmal mit einem 200 mm-Objektiv, sodass der Baum auf den Bildern gleich groß ist, muss ich mit dem 200 mm-Objektiv etwa vier mal so weit weg vom Baum.

Sagen wir, beim 50 mm-Objektiv stehe ich 10 Meter vor dem Baum. Daraus folgt:

Der Baum erscheint auf dem 200 mm-Objektiv gleich groß aus 40 m Entfernung, da 50 mm × 4 = 200 mm und 10 m × 4 = 40 m. Daraus folgt:

Der Baum ist nicht 6 mal so weit weg vom Gebäude wie vorher, sondern 2,25 mal. Das Verhältnis Gebäude-Entfernung durch Baum-Entfernung wird kleiner, je weiter ich weg vom Baum bin. Das Gebäude erscheint im Verhältnis zum Baum immer größer (Strahlensatz in der Geometrie). Erscheint etwas größer, sagt die Logik: Es ist näher. Mit zunehmenden Abstand rücken Baum und Haus scheinbar zusammen. Das ist liegt nicht an der längeren Brennweite – notwendig, damit der Baum gleich groß abgebildet wird – sondern am größeren Abstand.

Die Brennweite ändert die Perspektive nicht

Ich zeichne zwei Strahlen von einem Punkt (Zentrum) aus, die eine Strecke (Baum) im Vordergrund schneiden und eine Strecke im Hintergrund. Bleibt die Entfernung zwischen Vorder- und Hintergrund gleich und die Strahlen schneiden beide Male den Vordergrund (Baum), wird bei weiter entfernten Zentren weniger vom Hintergrund abgebildet. Dadurch erscheint er auf dem Bild größer: Statt des gesamten Hauses füllt nun nur der erste Stock das komplette Bild. Folgende Abbildung zeigt das.

Abbildung: Brennweite und Hintergrund. Der Vordergrund wird von der längeren Brennweite (Zentrum 2) gleich groß abgebildet wie von der kurzen (Zentrum 1). Vom Hintergrund bildet die längere weniger ab.

In der Praxis sieht das aus, wie auf den folgenden Abbildungen, fotografiert vom gleichen Standort aus. Die erste zeigt das Bild einer Stadt, fotografiert auf Kleinbildfilm mit der Brennweite 24 mm. Das folgende zeigt in der gleichen Aufnahme einen Rahmen, der umreißt , was eine Brennweite von 135 mm erfasst. Das folgende Foto ist mit 135 mm fotografiert, gerichtet auf den Stadtteil, der durch den Rahmen umrissen ist und das letzte ist der Ausschnitt aus der Aufnahme mit 24 mm an der Rahmen-Stelle. Die Ausschnittsaufnahme ist schlechter aufgelöst als die der mehr als 5-fachen Brennweite. Die Größenverhältnisse sind aber identisch. Weder "dehnt" ein 24 mm-Objektiv den Raum, noch "staucht" ihn ein 135 mm-Objektiv.

24 mm

24 mm Ausschnitts-Markierung

135 mm

Ausschnitt aus 24 mm

Zusammenfassung

Abstände ändern die Perspektive. Je weiter weg ich bin, desto genauer werden die wahren Größenverhältnisse wiedergegeben. Durch die scheinbar geringere Größenänderung im Raum wirkt die Szenerie "gestaucht". Bin ich näher dran, erscheint der Vordergrund verhältnismäßig größer als der Hintergrund. Wegen der scheinbar deutlichen Größenänderung sieht alles "gedehnt" aus. Fotografieren wir mit Weitwinkelobjektiven, sind wir in der Regel näher am Motiv, mit Teleobjektiven sind wir weiter weg. Durch die geringen oder großen Abstände können Objektiven indirekt typische Perspektiven zugeschrieben werden. Dass nur der Abstand die Perspektive bestimmt, lässt sich leicht feststellen: Fotografiere ich vom gleichen Standort aus mit einem Weitwinkelobjektiv und einem Teleobjektiv, zeigt ein vergrößerter Bildausschnitt des Weitwinkelobjektivs die gleiche Perspektive wie das Teleobjektiv.

Elmar Baumann, Moos 02.03.2003

Letzte Bearbeitung: 08.06.2018.