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Kommentare (Essays)

Was und wieviel sollte ich lernen, damit ich gut fotografiere?

Als Kind hatte ich eine Kassettenkamera. Mit ihr brachte ich lediglich Knipsbilder zustande. Damals dachte ich: Hätte ich nur eine bessere Kamera, würde ich tolle Bilder fotografieren. Katalog-Produktfotos von Kleinbildkameras zogen mich in den Bann, vor allem die bunt schillernden Vergütungen der Objektivlinsen.

Eines Tages war es so weit: Zu Weihnachten schenkten meine Eltern mir eine gute Sucherkamera. Meine Bilder wurden schärfer und waren genauer belichtet, aber nicht bemerkenswert besser.

Darauf hin lieh ich mir Bücher über die Fotografie aus, in der Hoffnung, nach dem Lesen gut zu fotografieren. Alle Autoren empfahlen Kleinbild-Spiegelreflexkameras und so dachte ich, mit einer Spiegelreflexkamera würde ich besser fotografieren.

In der Stadt schaute ich mehrere Spiegelreflexkameras an, verglich Prospekte und kaufte mir schließlich eine. Meine Bilder wurden besser, aber das war eher zwei Umständen zu verdanken als der Kamera: Ich habe viele Bücher gelesen und fotografierte mehr.

Vielleicht drei Jahre später abonnierte ich eine Fotozeitschrift und las weitere in der Stadtbücherei. Die Fotozeitschriften stellten die neuesten Produkte der Fotoindustrie vor und testeten sie. Das brachte mich nicht weiter, ich kündigte das Abonnement, seit vielen Jahren lese ich keine Fotozeitschrift mehr.

Später drang ich tiefer in die Materie ein, bis hin zu den chemisch-physikalischen Grundlagen der Fotografie. Das war ein anderer Spaß, nämlich die Freude an der Erkenntnis, Bilder werden so nicht besser.

Aus meinen bisherigen Erfahrungen kann ich sagen:

Gut werden Bilder in der Hauptsache, indem ich fotogene Motive erkenne, nur diese auswähle und mich auf die Bildgestaltung konzentriere. Sehen und Gestalten sind wesentlich für gute Bilder.

Die Fototechnik brauche ich nur so weit kennen, bis die Bilder in etwa so aussehen, wie ich mir das vorstelle. Will ich möglichst wenig Zeit mit dem Studium der Technik verbringen, reicht es im wesentlichen aus, dass ich weiß, wann die Belichtungsautomatik versagt, was ich in diesem Fall tun kann und welche Blende ich in etwa einstellen soll für die gewünschte Schärfentiefe. Hinzu gehören noch ein paar Grundkenntnisse, aber bei weitem nicht so viel, wie hier vorzufinden ist. Formeln, Physik und tieferes Wissen sind gedacht für jene, die Spaß am Wissen haben und nicht Voraussetzung für gute Fotos.

Irgendwann weiß ich genug und sollte hauptsächlich fotografieren und Bilder bearbeiten. Mir ist bewusst, dass vieles von dem, was ich darüber hinaus lernte, meine Bilder nicht verbessern wird, im Gegenteil, während dieser Zeit kann ich nicht fotografieren. Es ist der Spaß an Erkenntnis und befriedigt meine Neugierde. Ich lerne, wenn ich etwas will, und nicht weiß, wie. Zuletzt waren das Fragen wie: Wie schaffe ich es, dass die Farben der Bilder auf den Ausdrucken möglichst so aussehen wie auf dem Bildschirm? Wie bearbeite ich RAW-Dateien? Wie kann ich hohe Motivkontraste wiedergeben?

Ich glaube, viele Anfänger sind gut beraten, erst einmal die Kamera auf Programmautomatik zu stellen, sich ganz auf das Motiv und seine Gestaltung zu konzentrieren und viel zu fotografieren. Die Kapazitäten sollten vorerst nur für die Bildgestaltung aufgebraucht werden.

Weiterhin denke ich, effektiv lerne ich, falls ich jemanden, der gut fotografiert, bei der Arbeit zuschaue. Ich sehe, wie er sich den Motiven nähert, das Licht nutzt und so weiter.

Will ich von jemandem etwas lernen, schaue ich erst einmal seine Bilder an und frage mich: Wäre ich froh, falls ich so fotografierte? Wessen Bilder mir nicht gefallen, der wird mich wahrscheinlich nicht weiterbringen.

Hilfreich sind für mich "Vorbilder", gute Bilder in Bildbänden, Zeitschriften und auf Ausstellungen. Ich denke, durch gute Bilder kann ich ein Gefühl für fotogene Motive und Gestaltung entwickeln.

Das Fazit könnte lauten: Fotografiere viel, stelle anfangs die Kamera auf eine Programmautomatik, konzentriere dich ganz auf die Bildgestaltung, bewerte deine Bilder kritisch, versuche schlecht gestaltete Bilder besser zu fotografieren, kümmere dich erst um die Technik, falls du mit der Programmautomatik nicht weiterkommst und lerne vorläufig nur die technischen Teilaspekte, die dein technisches Problem beheben.

Elmar Baumann, 17.09.2006.